Beitragsanpassung (BAP)
Die Beitragsanpassung in der PKV ist schwer zu verstehen, wenn man die Grundlagen der Prämienkalkulation nicht kennt. Das Verfahren ist gesetzlich geregelt und in § 14, 14a und 15 KalV beschrieben. Wissenswert ist zunächst was eine BAP auslösen darf. In die Kalkulation der Prämie fließen diverse Rechnungsgrundlagen (Zins, Kopfschäden, Stornowahrscheinlichkeiten etc.) ein, aber nur zwei davon (Änderung der Kopfschäden und Sterbewahrscheinlichkeiten) können eine BAP auslösen, auch "Auslösender Faktor" genannt. Wenn z.B. die Kopfschäden und damit die erforderlichen Versicherungsleistungen eines Tarifs um mehr als 10% steigen (Grenzwert lt. § 12b Abs. 2 VAG), beginnt ein Prüfungsprozess bei dem auch alle anderen Rechnungsgrundlagen der betreffenden Beobachtungseinheit (Tarif, Altersgruppe) zu prüfen sind um die insgesamt erforderliche BAP zu ermitteln. Wird der Grenzwert bei den Kopfschäden nicht überschritten, ist eine BAP nicht zulässig, auch wenn bei anderen Rechnungsgrundlagen, die aber nach § 14 und 14a KalV kein auslösender Faktor sind, die Voraussetzung gegeben wäre. Diese dürfen erst in die BAP miteinfließen, wenn die Rechnungsgrundlage, die auslösender Faktor ist, den Grenzwert (entweder aus § 12b Abs. 2 VAG oder lt. eigenen AGB) übersteigt. Bei Sterbewahrscheinlichkeiten erfolgt die Anpassung nach § 12b Abs. 2a VAG bei mehr als 5% Abweichung (hier ist kein anderer Prozentsatz durch AGB möglich).
Weiterer Ablauf ist, dass eine BAP dem Treuhänder und der
Aufsichtsbehörde (Bafin) innerhalb von 4 Monaten nach dem
Beobachtungszeitraum vorzulegen ist und der Treuhänder zustimmen muss,
bevor die BAP wirksam wird und dem Kunden mitgeteilt wird. Den
beschriebenen Prozess veranschaulicht folgende Grafik:
Die Kopfschäden und Sterbewahrscheinlichkeiten als auslösende
Faktoren einer BAP müssen nicht auch den betragsmäßig größten Anteil an
einer Anpassung haben. Dies zeigte eindrucksvoll die hohe
Beitragserhöhung der Axa im Tarif EL Bonus zum
1.1.2014, bei der die Änderung
der Stornowahrscheinlichkeit mit Abstand den größten Anteil an der
30%-50%igen BAP hatte. Offenbar reichte das immer noch nicht und die
Kunden bekamen auch ein Jahr später zum 1.1.2015 eine saftige
Beitragserhöhung serviert.
Weiterhin ist klarzustellen, dass obige Grafik nur den formalen Ablauf einer Beitragsanpassung darstellt und deren Einhaltung nichts über die tatsächliche Situation im betroffenen Tarif aussagt. Versicherer streuen hier gern Sand in die Augen indem versucht wird die Ordnungsmäßigkeit der BAP durch Hinweis auf Prüfung und Zustimmung durch Treuhänder vorzugaukeln. Hier handelt es sich aber höchstens um eine formale Richtigkeit. Um sich ein annäherndes Urteil über die BAP bilden zu können, braucht man ganz andere Informationen, siehe Tabelle unten bei Ursachen. Mittlerweile hat ein Gericht (Amtsgericht Potsdam mit Urteil von Oktober 2016 Az. 29 C 122/16) die Axa-Beitragserhöhungen der letzten Jahre für unwirksam erklärt. Hier bleibt abzuwarten was die Berufung der Axa bringen wird.
Nachholungsverbot
Bei einer Beitraganpassung gilt das sogenannte Nachholungsverbot
gemäß § 12b Abs. 2 Satz 4 VAG, d.h. war bei einer Vorkalkulation
eine der Rechnungsgrundlagen zu gering angesetzt und hätte dies ein
gewissenhafter Aktuar
erkennen können, darf der Anteil der BAP,
der auf diese Falschkalkulation zurückzuführen ist, nicht von den
Versicherten erhoben
werden. Die daraus resultierende (nachgeholte) Beitragserhöhung ist vom
Versicherer selbst zu tragen. Ein Kandidat für ein Verstoß gegen dieses
Nachholungsverbot ist die oben erwähnte Stornowahrscheinlichkeit, die
einen übermäßigen Anteil an einer BAP hat. Hier liegt die Vermutung
nahe,
dass bewußt mit zu hohen Stornowahrscheinlichkeiten kalkuliert wurde.
Kalkulation mit hohem Storno wirkt zu Beginn beitragssenkend, da man
auf hohe Abgänge und hohe Vererbung von Altersrückstellungen
spekuliert. Besonders hinterhältig ist ein derart kalkulierter Tarif,
wenn die falsche Stornowahrscheinlichkeit erst nach Jahren korrigiert
(nachgeholt) wird, wo der Kunde nennenswerte Altersrückstellungen
aufgebaut hat und schon deshalb den falsch kalkulierenden Versicherer
nicht einfach wechseln kann.
Abgesehen von Altersrückstellungen wurde
der Kunde auch um die Wechselmöglichkeit gebracht, wenn falsche
Kalkulationen über hohe BAP, die sonst zum Verlassen der Gesellschaft
führen würden, erst in einem Alter korrigiert werden, wenn
hinzugekommene Vorerkrankungen den Wechsel verhindern oder erschweren.
Vermutlich kann man von einer
Branche, die ihre Ausgaben nicht wie normale Unternehemen Kosten oder
Aufwendungen, sondern Schäden nennt, auch nichts anderes erwarten.
Ursachen
Es ist nicht zulässig einzelnen Kunden den Beitrag zu erhöhen, weil diese überdurchschnittlich hohe Kosten verursachen oder weil sie älter werden. Die altersbedingte Steigerung der Ausgaben ist bereits in der Kalkulation durch Alterungsrückstellungen berücksichtigt, indem der Kunde in jüngeren Jahren mehr Beitrag zahlt als es seinem gegenwärtigen Krankheitsrisiko entspricht. Allgemeine Ursachen für Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung sind vor allem:
- Ärzte und Kliniken rechnen viel ab
- medizinische Inflation
- kein Rotstift bei Chefärzten
- sonstige Kosten werden auf Mitglieder umgewälzt
- falsche Kalkulation
- Tarifwechsler nach § 204 VVG (siehe Gesetzestrick)
- zu hohe Stornowahrscheinlichkeiten einkalkuliert, d.h. es gibt
geringere Vererbung von Altersrückstellungen durch weniger Abgänge als
kalkuliert
- Einführung eines Basistarifs mit Annahmezwang
- Einführung des Gleichbehandlungsgesetzes
- Portabilität von Alterungsrückstellungen einführen
- Finanzkrise reduzierte die Kapitaleinkünfte
Einige der o.g. Ursachen für Beitragsteigerungen sind nicht von den
Gesellschaften zu vertreten (rechtliche Zwänge), es sind aber auch
Ursachen dabei, die sehr wohl von den Gesellschaften zu verantworten
sind (falsche Annahmen bei Rechnungsgrundlagen wie Zins,
Stornowahrscheinlichkeiten). Es ist daher wichtig genau nach den
Ursachen zu fragen, wenn man das Schreiben für Beitragsanpassungen
(BAP) bekommen hat. Zwar sind Blätter mit Änderungsgründen dem
Schreiben beigelegt, enthalten aber oft nur das nichtssagende Lied vom
medizinischen Fortschritt ohne Zahlenangaben.
Für den von Beitragserhöhungen Betroffenen sind aber nicht
allgemeine Ursachen für BAP ausschlaggebend, sondern die Ursachen, die
im betreffenden PKV-Tarif zu Erhöhungen geführt haben. Eine echte
individuelle Information wäre eine Aufschlüsselung des Gesamtbetrages
der BAP auf die einzelnen Gründe, etwa in dieser Form:
Es ist damit zu rechnen, dass man die oben dargestellte Tabelle mit Aufschlüsselung der BAP nach Gründen nicht sofort vom Versicherer bekommt, sondern einige Schreiben mit viel blabla und geheim. Bestimmtes Vorgehen um die Infos ohne gerichtliche Schritte zu bekommen ist schwer zu empfehlen, außer der Hinweis was aus persönlicher Erfahrung gewirkt hat: nur alten Beitrag ohne Erhöhung zahlen, Klartext reden: "Füllen Sie mir einfach die Tabelle aus" und mit Notlagentarif (kostet etwa 80 €) drohen.
sonstige prüfungen
Nach dem BGH-Urteil vom 16. Juni 2004 (IV ZR 117/02) müssen PKV-Unternehmen bestimmte Regeln einhalten, damit Beitragserhöhungen wirksam werden. In der Vergangenheit war jede 4. Erhöhung nicht zulässig, weil diese Regeln nicht eingehalten wurden. Dazu kommt es zunächst auf die genaue Formulierung in den Musterbedingungen (MB/KK) des jeweiligen Versicherers an. Dort finden sich Sätze wie dieser:
"Wenn die Gegenüberstellung der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit (gemeint ist die Altersklasse für Männer/Frauen) eine Abweichung von mehr als 10 % (Grenze) ergibt, werden die Beiträge dieser Beobachtungseinheit des Tarifs überprüft und ggf. angepasst."
Falls dort steht, dass bei einer 10%igen Abweichung einer Einheit alle Beobachtungseinheiten angepasst werden, ist diese Klausel nach dem BGH-Urteil von vornherein ungültig, weil nur die Beiträge der entsprechenden Einheit erhöht werden dürfen. Angenommen dieser Punkt wurde eingehalten, dann ist weiter zu prüfen, ob die tatsächlichen Kosten für die einzelnen Versicherungsleistungen wirklich über 10% lagen. Lagen diese tatsächlich nur bei 7 oder 8%, dann ist eine Beitragserhöhung nach den eigenen Bedingungen der Gesellschaft nicht zulässig, da in diesem Fall für die wirksame Erhöhung eine Grenze von z.B. 5% in den Bedingungen (MB/KK) hätte stehen müssen. Genau an solche "Kleinigkeiten" haben sich die Gesellschaften in der Vergangenheit oft nicht gehalten. Um sich wehren zu können, braucht man nun konkrete Zahlen. Die %tuale Grenze (meist 5 oder 10%) erfährt man aus den Bedingungen (MB/KK), die man bei Abschluss der PKV bekommen hat. Die %tuale Abweichung von tatsächlichen und kalkulierten Kosten der versicherten Leistungen müssen beim Versicherer erfragt werden, damit man seine Ansprüche geltend machen kann. Die Versicherer verweigern hier oft Auskünfte oder die gewünschten Informationen werden erst vorgelegt, wenn der Kunde klagt.
Trotzdem ist es empfehlenswert den Versicherer auf jeden Fall
anzuschreiben um seine Reaktion zu testen. Wenn seine Berechnung
korrekt ist, hat er nichts zu verlieren und wird die Unterlagen
aushändigen. Verweigert er die Daten (oft mit Hinweis auf geheim), ist
das ein starkes Indiz für unzulässige Erhöhungen. Hier muss man nun
klagen um an die Informationen zu kommen, was je nach Höhe der
Beitragserhöhungen sinnvoll ist. Weitergehende Infos zur gerichtlichen
Überprüfung der Beitragserhöhung, siehe: BAP-Gericht.
Dasselbe gilt auch für Anpassungen in der Vergangenheit, die rückwirkend
mit Zinsen erstattet
werden müssen, wenn sie im nachhinein
unzulässig sein sollten. Insbesondere bis zum Jahr 2004 war jede Vierte
Erhöhung der PKV unzulässig, so dass hier gute Erfolgsaussichten von
Rückerstattungen bestehen. Eine rabiate Methode um den Versicherer
unter Druck zu setzen und zum Herausgeben der o.g. Daten zu
veranlassen, ist das Aussetzen von Beitragszahlungen. Spätestens hier
wird der Versicherer sich bewegen. Seit Einführung der
Krankenversicherungspflicht können Versicherer bei Beitragsverzug nur
die Wahllleistungen des Tarifs kündigen, aber nicht den Anteil des
Basisschutzes.
Falls geklagt wird, wird zunächst geprüft, welche %tuale Grenze für Erhöhungen gilt. Falls der Versicher in den Bedingungen nichts festgelegt hat, gilt der gesetzliche Satz von 10%, d.h. die Abweichung zwischen kalkulierten und tatsächlichen Ausgaben muss mindestens 10% betragen, damit der Versicherer den Monatsbeitrag erhöhen darf. Ist dies nicht der Fall ist die Erhöhung des Beitrags nicht zulässig bzw. bei Überprüfung von Erhöhungen aus der Vergangenheit hat man Anspruch auf Erstattung von zu viel gezahlten Beiträgen. Wichtig ist natürlich, dass man Beweise für die Erhöhung hat, z.B. die Mitteilung der Beitragserhöhung aus dem entsprechenden Zeitraum und ebenso die entsprechenden Klausel des Vertrags.
Ein Erstschreiben mit der Bitte um Daten, welche die Beitragserhöhung ausgelöst haben, könnte wie folgt aussehen:
--------------------
Absender
Empfänger
Betreff: Beitragsanpassung PKV-Nr. ...
Sehr geehrte Damen und Herren,
da nach dem BGH-Urteil vom 16. Juni 2004 (IV ZR 117/02) für Beitragserhöhungen bestimmte Regeln gelten, möchte ich Sie bitten, mir folgende Fragen zu beantworten:
- Seit wann wenden Sie das BGH-Urteil vom 16. Juni 2004 (IV ZR 117/02) bei Beitragserhöhungen an?
- Wie sind Sie in den Jahren vor der BGH-Entscheidung vorgegangen?
- Wie hoch ist die %tuale Grenze für Beitragsanpassungen im Tarif ...
- Wie lautete für die Beitragserhöhung ... (Datum u. Betrag angeben) im Tarif ... für meine Beobachtungseinheit ... (Mann/Frau/Kind) das Verhältnis zwischen den erforderlichen und den kalkulierten Versicherungsleistungen gemäß §12 b VAG, bzw. § 8 b der Musterbedingungen?
Mit freundlichen Grüssen
Unterschrift